Je besser Du die sensorisch-integrativen Funktionen der Menschen verstehst, desto eher wirst Du ihnen zu einem glücklicheren, erfolgreicheren Leben verhelfen können.
A. Jean Ayres
Sensorische Integration
Unter sensorischer Integration verstehen wir:
- das Zusammenführen
- Ordnen und
- Strukturieren
der Informationen, die uns über unsere Wahrnehmungsorgane erreichen.
Ohne sensorische Integration sind wir nicht in der Lage, Empfindungen aus verschiedenen Wahrnehmungsbereichen miteinander in Verbindung zu bringen.
Die sensorische Integration ist ein neurologischer Prozess, der essentiell für die Verarbeitung von Informationen im Gehirn ist, wobei der Hirnstamm eine besondere Rolle spielt. Schwierigkeiten in der Verarbeitung im Hirnstamm können sich oft auf andere Bereiche des Gehirns auswirken, was die Gesamtverarbeitung von Informationen beeinträchtigen kann.
Der wichtigste Wirkfaktor in der Behandlung ist für uns, die emotionale Sicherheit.
Aus der Forschung und der Erfahrung ist uns bekannt, dass der Angst-Stress-Kreislauf - egal welcher Ursache - zu einem erhöhten Erregungsniveau, zu erhöhter Wachsamkeit gegenüber sensorischen Reizen führt.
Die Begründerin der Sensorischen Integration Jean Ayres sagte:
Dem Kind Gelegenheit geben, sich freudig mit einer therapeutischen Aktivität auseinanderzusetzen, kann einen positiven Effekt auf die Amygdala (Mandelkern, Teil des limbischen Systems) haben und zu Gefühlen von Sicherheit und Selbstwert beitragen.
Bewegung macht beweglich, und Beweglichkeit kann manches in Bewegung setzen.
Wilhelm Busch
Der Wahrnehmungsentwicklungsbaum
Der Wahrnehmungsentwicklungsbaum (nach Rega Schaefgen) veranschaulicht sehr schön, wie sich Wahrnehmung entwickelt.
Die taktile Wahrnehmung (Fühl-und Tastsinn) ist bei der Geburt ausgereift, sie bezieht sich auf die Fähigkeit des Körpers, Informationen durch Berührung und Druck zu erfassen. Sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Erkundung der Umgebung, der Feinmotorik und der zwischenmenschlichen Interaktion. Durch taktile Reize können wir Objekte erkennen, ihre Textur, Temperatur und Form erfühlen und sogar emotionale Empfindungen erfahren. Eine gut entwickelte taktile Wahrnehmung ist wichtig für das alltägliche Leben und unterstützt die sensorische Integration, was wiederum ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung und des Lernens ist.
Die propriozeptive Wahrnehmung (Körperwahrnehmung) bezieht sich auf die Fähigkeit des Körpers, seine Position im Raum und die Bewegungen seiner Gliedmassen ohne visuelle Hilfe zu erkennen. Diese Art der Wahrnehmung ermöglicht es uns, unsere Körperhaltung anzupassen, unsere Bewegungen zu koordinieren und unsere Kraft angemessen zu dosieren. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Durchführung präziser Bewegungen und beim Gleichgewichtssinn. Eine gut entwickelte propriozeptive Wahrnehmung ist entscheidend für die Feinabstimmung der motorischen Fähigkeiten und trägt zur körperlichen Koordination und Geschicklichkeit bei.
Die vestibuläre Wahrnehmung (Gleichgewichtssinn) bezieht sich auf die Fähigkeit des Körpers, Bewegung und Orientierung im Raum zu erkennen und aufrechtzuerhalten. Dieser Sinn wird durch das vestibuläre System im Innenohr gesteuert, das auf Änderungen in der Lage und Bewegung des Kopfes reagiert. Die vestibuläre Wahrnehmung ermöglicht es uns, unser Gleichgewicht zu halten, uns stabil zu bewegen und uns im Raum zu orientieren. Eine gut entwickelte vestibuläre Wahrnehmung ist wichtig für die motorische Koordination, das Gleichgewicht und die räumliche Orientierung.
Diese Nahsinne bilden die Basis unserer körperlichen Entwicklung. Ergänzt durch äussere Informationen bzw. den Fernsinnen (sehen, hören, riechen und schmecken) ermöglichen sie uns ein sinnvolles, zeitliches und räumliches Planen und Lenken von Bewegungsabläufen, die Bewegungsplanung, die Entwicklung eines Körperschemas und vieles mehr.
Besonders die Informationen aus den drei Nahsinnen sind von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung der Handlungsfähigkeit und Intelligenz.
Sie sind Voraussetzung für ein gesundes, emotionales Gleichgewicht und Selbstbewusstsein des Menschen.
Der Grundstein dazu wird in den ersten 7 Jahren eines Kindes gelegt.
Wenn sich in der Kindheit «feste Wurzeln» und ein «kräftiger Stamm» entwickeln, werden dem älteren Kind und auch den Erwachsenen ohne Probleme sämtliche «Äste, Blätter und Früchte» wachsen.
Wenn nicht, sind Lernschwierigkeiten, soziale und emotionale Probleme wahrscheinlich.
Die sensorische Integration ist der Schlüssel, durch den die Tür zur Sprache geöffnet wird – sie verbindet die Welt der Sinne mit der Welt der Worte und eröffnet zugleich die Welt der Möglichkeiten, in der wir unsere Träume & Ziele verwirklichen können.
Caroline Staib
Sensorische Integration für die Sprach – und Sprechentwicklung
Die sensorische Integration spielt eine entscheidende Rolle für die Sprach – und Sprechentwicklung von Kindern, indem sie eine Verbindung zwischen Greifen, Begreifen und Begriffsbildung herstellt.
Kinder nutzen ihre Nahsinne, insbesondere die taktile Wahrnehmung, um die Welt um sich herum zu erkunden und dabei wichtige sensorische Informationen zu sammeln.
Durch das Greifen und Begreifen von Gegenständen entwickeln sich ein Verständnis für Formen, Texturen und Grössen, was wiederum die Entwicklung von Begriffen und Konzepten unterstützt.
Einen weiteren Einfluss hat die sensorische Integration auf die motorischen Fähigkeiten und auf die grammatikalische Entwicklung. Durch Bewegungserfahrungen entwickeln Kinder ein besseres Verständnis für räumliche Konzepte, Richtungen und Positionen, die wiederum die sprachliche Ausdrucksfähigkeit unterstützen.
Zum Beispiel können Aktivitäten wie Klettern, Hüpfen und Balancieren dazu beitragen, das Verständnis für Präpositionen wie «über», «unter», «neben» usw. zu verbessern, was wiederum die Fähigkeit zur korrekten Anwendung dieser Konzepte in der Sprache fördert.
Darüber hinaus trägt eine gut entwickelte Grobmotorik dazu bei, dass Kinder sich selbstbewusster und ausdrucksstärker bewegen, was sich positiv auf ihre verbale Kommunikation auswirken kann.
Kinder, die sich sicher und geschickt bewegen können, sind oft auch besser in der Lage, ihre Gedanken und Ideen verbal auszudrücken und komplexe Sätze zu konstruieren.
Die Feinmotorik, insbesondere die Mundmotorik, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Artikulation, der Aussprache und der Grammatik.
Eine präzise Kontrolle der Zunge, Lippen, Gaumen und des Kiefers ist entscheidend für die Bildung von Lauten und die korrekte Artikulation von Wörtern, dies beeinflusst direkt die Fähigkeit eines Kindes, Laute klar und deutlich zu produzieren und können komplexere grammatikalische Strukturen besser umsetzen.
Darüber hinaus sind die Fernsinne, insbesondere die visuelle und auditive Wahrnehmung, eng mit den Nahsinnen verbunden und spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.
Eine angemessene Verarbeitung von visuellen und auditiven Reizen ermöglicht es Kindern, Wörter und Sätze klar zu hören oder zu sehen, was ihre Fähigkeit zur Sprachverarbeitung – und -produktion unterstützt.
Eine gut entwickelte sensorische Integration unterstützt nicht nur die motorische Entwicklung, sondern auch die Kommunikation, was wiederum ihre Fähigkeit zur Interaktion und Teilhabe am sozialen Leben stärkt.
Kurz gesagt, eine solide sensorische Integration ist der Schlüssel für ein erfolgreiches und erfülltes Aufwachsen.
Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war.
John Locke
Grundlagen des schulischen Lernens
Nur ein Kind mit einem gut funktionierenden Bewegungs – und Wahrnehmungssystem wird in der Lage sein, dem Unterricht ohne Probleme zu folgen.
Eine gut funktionierende propriozeptive und vestibuläre Wahrnehmung ist wesentliche Voraussetzung für die Fähigkeit des Schulkindes, aufrecht und ruhig auf seinem Platz sitzen zu können.
Bei Störungen kommt es zu Bewegungsunruhe, zur taktilen Über – oder Unterempfindlichkeit und zu vermindertem Entspannungsvermögen.
Die Fähigkeit zur selektiven Wahrnehmung wählt die für die momentane Situation wesentlichen Reize aus und hemmt die unwichtigen Informationen, so dass der Mensch in der Lage ist, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Wenn das Kind aber nicht die «richtigen» Reize herausfiltern kann, stehen nicht die richtigen Informationen zur Verfügung.
Handlungsabläufe und Problemlösungen können daher nicht angemessen verinnerlicht werden.
Durch eine mangelhafte Filterung benötigt das Kind zudem viel mehr Energie, um diese zu kompensieren. Die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspanne wird dadurch stark herabgesetzt und es ermüdet viel schneller.
Für das Lesen-, Schreiben- und Rechnen lernen müssen vielfältige auditive, visuelle, taktile, propriozeptive und vestibuläre Wahrnehmungsleistungen erbracht werden:
- die Orientierung am eigenen Körper
- die räumliche Orientierung
- die räumliche Gestalterfassung
- das Herstellen räumlicher Beziehungen
- das Zusammenspiel beider Gehirnhälften
- die auditive und visuelle Figur-Grundwahrnehmung
- die Entwicklung des Mundschemas (bewusste Lautbildung/Artikulation)
- die grob- und feinmotorische Koordination des Körpers
und vieles mehr sind Voraussetzung für problemloses Lernen